ROBIN WOOD-Magazin Nr. 75/4.2002

Der Sumpf, das Soja und die Schulden

Jens Wieting

Pantanal in der Trockenzeit

Brasilien ist bekannt als Land der Superlative. Bei Fläche und Einwohnerzahl steht das Land an fünfter Stelle in der Weltrangliste, mit dem Bruttosozialprodukt immerhin auf dem achten Platz. In der Verschuldungsstatistik der Entwicklungs- und Schwellenländer liegt Brasilien mit 260 Mrd. Dollar an der Spitze. Um Schulden zu tilgen, hält Brasilien in vielen Regionen des Landes an der für Entwicklungsländer typischen exportorientierten Wirtschaftspolitik fest. Damit wird die Zerstörung der Naturschätze Brasiliens beschleunigt.

In der Amazonassenke schreitet die Vernichtung des weltweit größten zusammenhängenden tropischen Waldsystems voran (s. Robin Wood-Magazin 70/3.2001). Im Bundesstaat Mato Grosso an der Grenze zu Bolivien ist eines der größten Feuchtgebiete der Welt durch die kurzsichtige Wirtschaftspolitik bedroht. Der Pantanal wird aufgrund seiner ökologischen Bedeutung auch als Garten Eden Brasiliens bezeichnet.

Der Pantanal bildet den nördlichen Teil des Einzugsgebietes des Rio Paraguay mit einer Fläche größer als Ostdeutschland. Der größte Teil dieses ebenen Gebietes wird in der Regenzeit überschwemmt - „pântano“ bedeutet im Portugiesischen so viel wie Sumpf. Das geringe Gefälle der Flüsse, nur 3 cm pro km am Rio Paraguay, verhindert einen schnellen Abfluss der 1200 – 1400 mm Jahresniederschlag. Trotz der geringen Höhenunterschiede ist die Landschaft äußerst vielfältig. Der Pantanal besteht aus einem Mosaik von Fließgewässern, Seen und unterschiedlichen Vegetationstypen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um eine Überschwemmungs-Grassavanne, verschiedene Waldformen, sowie besondere Nass- und Trockenstandorte. Viele Tiere aus dem Amazonasgebiet und der Caatinga, einer Trockenlandschaft Brasiliens, kommen auch hier vor und sorgen für die besondere Artenvielfalt dieser Landschaft. Unser Besuch fällt in den Beginn der Regenzeit, die von Dezember bis März dauert. Langsam füllen sich nun Wasserlöcher und -läufe, die ersten Flächen werden überschwemmt und die Moskitos nehmen zu.

Traditionelle Nutzungen im Pantanal verschwinden

Um den Pantanal kennen zu lernen, sind wir mit dem Bus in 36 Stunden von Rio de Janeiro nach Cuiabá gefahren. Im Gegensatz zu den kolonialen Orten an der Atlantikküste haben die Städte im Landesinneren noch keine lange Geschichte. Von den indianischen Ureinwohnern dieses Gebiets, den Bororó-Indianern, gibt es nur noch wenige. Aber ein Teil der Pantaneiros, wie die Bewohner der Region auch genannt werden, lebt noch heute vom Fischfang und der Jagd. Cuiabá ist als Goldgräbersiedlung entstanden und heute quirliges Zentrum der umliegenden Rinderzucht-, Reis-, Mais- und Sojaanbaugebiete.

Von hier aus bietet unser Freund Franklin Ausflüge in den Pantanal an. Als Stützpunkte dienen Viehfarmen, Fazendas, die an der Transpantaneira liegen, der einzigen Straße, die in das Feuchtgebiet führt. Unterwegs begegnen wir immer wieder von Reitern begleitete Viehherden. Neben der Viehhaltung wird für einige Betriebe im Pantanal der Tourismus als Einnahmequelle immer wichtiger. Aber die Notwendigkeit, das sensible Ökosystem als Attraktion für Naturliebhaber besser zu schützen, erkennen die wenigsten Viehhalter. So erklärt uns Franklin, dass sie immer mehr Dämme bauen, um die Weiden für das Vieh trocken zu halten. Früher wurde ausschließlich das an die Überschwemmungen angepasste Pantanal-Rind gehalten, heute vermehrt das schnellwüchsige Nelore-Rind, das trockene Weiden braucht. Außerdem werden große Flächen abgebrannt, um Grasland für das Vieh zu gewinnen.

Artenreichtum des Pantanal

Zu Fuß, zu Pferd und auf dem Wasser lernen wir die Landschaft kennen. Oft wird behauptet, der Pantanal sei das tierreichste Gebiet des Kontinents, was schwer zu beweisen sein dürfte. Doch gibt es sicher kaum einen Ort, wo Tiere so einfach zu beobachten sind. Am Rand der Wasserlöcher liegen drei Meter lange Brillenkaimane, im Schlamm am Straßenrand kühlen sich die Wasserschweine ab und über die Straße rennt ein Großer Ameisenbär. Auch Kapuzineraffen und Sumpfhirsche sehen wir aus nächster Nähe.

Aber noch mehr dominieren die Vögel – über 600 Arten sind im Pantanal nachgewiesen. Reiher, Ibisse, Gänse und Enten sind allgegenwärtig. Aber auch den größten Storch der Welt, den Jabirú, bekommen wir im Laufe der Tage mehrfach zu sehen. Genau wie den flugunfähigen Nandu mit einer Höhe bis 1,60 Meter. Der berühmteste Vogel des Pantanal aber ist der tiefblaue Hyazinth-Ara, die größte Papageien-Art weltweit mit bis zu 1 Meter Länge. Er ist stark bedroht durch Schmuggel und den Rückgang der für seine Ernährung wichtigen Palmenarten.

Der Pantanal ist heute besser geschützt als in der Vergangenheit. Im Jahr 2000 wurde ein Gebiet von 210.000 km2 zum Biosphärenreservat erklärt. Außerdem wurden Teile des bereits bestehenden, kleineren Nationalparks von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Der überwiegende Teil des Biosphärenreservates besteht aus Puffer- oder Entwicklungszonen, in denen die Aktivitäten des Menschen umweltverträglicher gestaltet werden sollen. In diesem Kontext stehen auch neue finanzielle Mittel der Regierung Brasiliens und ausländischer Entwicklungsbanken für Projekte zur Verfügung, die eine nachhaltige Entwicklung unterstützen sollen. Doch diese Anstrengungen werden keine große Wirkung entfalten können, wenn Brasilien in Mato Grosso und den angrenzenden Bundesstaaten weiter an der exportorientierten Politik festhält, um Devisen zu erwirtschaften. Denn in der Umgebung des Pantanals breiten sich immer größere Soja-Monokulturen aus und unablässig werden Pläne zum Ausbau der Wasserwege verfolgt, um Soja und andere Exportprodukte schneller auf den Weltmarkt zu befördern.

Soja-Monokulturen für die Futtertröge des Nordens

Der Soja-Boom betrifft vor allem die brasilianische Savannenlandschaft der Cerrados, eine Mischung von Wald und Grasland, die an den Pantanal angrenzt. Die intensive Landwirtschaft ist mit Rodungen, Erosion und Veränderungen des Wasserhaushalts verbunden. Die Fließgewässer werden mit den eingetragenen Sedimenten und Agrarchemikalien belastet, was wiederum die Fischerei und die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung beeinträchtigt. Die ökologischen Probleme der Monokulturen wirken auch in den Pantanal hinein.

Sojaschrot, ursprünglich ein Nebenprodukt der Produktion von Sojaöl, dient als wichtiges Futtermittel für die Fleischproduktion in Nordamerika und Europa. Ein wichtiger Grund für die wachsende Nachfrage ist das Verbot von Tiermehl in der EU. Bis zur BSE-Krise wurden etwa 2,5 Mio. t Tiermehl in den EU-Staaten verfüttert, als Ersatz dient vor allem Soja aus Südamerika. In Deutschland deckt es etwa 30% des Futtermittelbedarfs. Brasilien ist der größte Sojalieferant Deutschlands und der Sojaanbau in Südamerika wird mit Darlehen der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, die zur KfW-Gruppe gehört (Kreditanstalt für Wiederaufbau), gefördert.

Die Ausdehnung der Soja-Anbauflächen geht einher mit der teilweise gewaltsamen Vertreibung der Kleinbauern und einer Konzentration des Landbesitzes. Im Bundesstaat Mato Grosso bewirtschaften 7% der Betriebe 86% der Betriebsflächen. Manche der ehemaligen Kleinbauern arbeiten für Niedrigstlöhne in den agrarindustriellen Betrieben. Im Gegensatz zu der traditionellen Landwirtschaft bietet der großflächige Sojaanbau aber kaum Arbeitsplätze.

Der Soja-Boom verschlechtert die Lebensmittelversorgung im an Ressourcen reichen Brasilien. Auf vielen der Flächen, auf denen heute Soja wächst, wurde früher Landwirtschaft für die lokale Versorgung betrieben. Nach Schätzung der FAO sind 10% der Bevölkerung unterernährt, regional ist der Anteil deutlich höher. 2001 betrug die Anbaufläche in Brasilien bereits 15 Mio. ha und sie wächst gegenwärtig um etwa 10% jährlich. Um bessere Preise für Soja und andere Exportprodukte auf dem Weltmarkt zu erzielen, sollen außerdem die Transportkosten gesenkt werden.

Neue Wasserstraßen für die Exporte

Der Pantanal ist bisher schlecht erschlossen, was die Erhaltung des Ökosystems bis heute begünstigt hat. Die Transpananeira, die Piste, die eigentlich das Gebiet Richtung Süden durchqueren sollte, beginnt im Norden bei Poconé. Doch wurden nur 140 km gebaut, bis das Vorhaben aufgrund von Protesten gestoppt wurde.

Mitte der 90er Jahre trieb die Interamerikanische Entwicklungsbank mit Brasilien und den Anrainerstaaten Pläne voran, den 3300 km langen Wasserweg „Hidrovia Paraná-Paraguay“ (HPP) von Cacéres am Rio Paraguay im Norden des Pantanal bis zur Mündung des Paraná nahe Buenos Aires auszubauen. Um die Infrastruktur für die Exportwirtschaft im Dreiländereck von Brasilien, Bolivien und Paraguay zu verbessern, sollte die Wasserstraße durch Begradigung, Vertiefung des Flussbetts und den Ausbau von Häfen ganzjährig schiffbar gemacht werden.

Ausbau vorläufig gestoppt

Doch der Ausbau der Flüsse würde zu einer Beschleunigung des Abflusses führen und damit zu der Gefahr einer Austrocknung der Feuchtgebiete in der Trockenzeit und von Überschwemmungen stromabwärts in der Regenzeit. Die Warnungen brasilianischer und internationaler Umweltorganisationen vor den ökologischen Folgen und der fragwürdigen Rentabilität der Investitionen von 1,3 Mrd. Dollar führten 1998 zu einem Stop dieser Pläne durch die brasilianische Umweltbehörde.

Die Befürworter des Ausbaus verfolgen nun eine Salami-Taktik und forcieren den Ausbau etappenweise. Im Jahr 2000 genehmigte die Landesregierung von Mato Grosso einem nordamerikanischen Unternehmen den Bau eines Hafens im Norden des Pantanal, um Soja zu exportieren. Vor dem Bundesberufungsgericht in der Hauptstadt wurden nun aber auch die Einzelprojekte auf Eis gelegt, da der Ausbau der Flüsse Paraná und Paraguay als Gesamtvorhaben geprüft werden müsse. Der Druck von Investoren, Transportunternehmen, Agrarbusiness und Bergbaukonzernen zugunsten einer verbesserten Infrastruktur zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen hält aber weiter an.

Ungewisse Zukunft für den Pantanal

Bei den Wahlen am 6. Oktober wurde der Sojakönig Blairo Maggi zum neuen Gouverneur von Mato Grosso gewählt. Er ist erklärter Feind der Umweltorganisationen und hat versprochen, die von ihnen durchgesetzten Auflagen wieder rückgängig zu machen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Verschuldung und der akuten Wirtschaftskrise Brasiliens wird der Schutz der natürlichen Ökosysteme nur schwer durchzusetzen sein.

Die ökologischen Funktionen des Pantanal werden nur erhalten werden können, wenn auch in den umgebenden Naturräumen die Ressourcen nachhaltig und gerecht genutzt werden. Sonst drohen die geschützten Gebiete zu einem ökologisch degradierten Zoo zu werden, umgeben von einer Agrarsteppe in der Hand des Großgrundbesitzes und von vertriebenen Habenichtsen. Für diese bedrohliche Entwicklung sind auch die Bundesregierung mit ihrem Gewicht in der internationalen Wirtschafts-, Finanz- und Umweltpolitik und wir als Verbraucher im Supermarkt mitverantwortlich.

Ausführlichere Informationen über Soja und den Pantanal im „ökozidjournal“ Nr. 23, 01/02, bei ARA e.V., August-Bebel-Str. 16-18, 33602 Bielefeld, E-Mail: araoffice@aol.com.de, www.araonline.de