ROBIN WOOD-Magazin Nr. 76/1.2003

Konzerne außer Kontrolle

Jens Wieting

Ob die jüngste Ölpest an der Atlantikküste oder die Flussverseuchung durch Giftschlämme des Bergbaus in Rumänien vor wenigen Jahren: Die schlimmsten Umweltkatastrophen werden von Unternehmen verursacht, die ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt arbeiten. Da eine internationale Vereinbarung über Verantwortung und Haftung von multinationalen Unternehmen bis heute nicht existiert, ignorieren viele Firmen Umweltschutz und Menschenrechte, um ihre Gewinne zu steigern.

 

 

Bonanza, Nicaragua: Die industrielle Goldgewinnung ist mit erheblichen Risiken für die Umwelt verbunden (Foto: J. Wieting)

Viele Konzerne nutzen Schlupflöcher vor allem in den ärmeren Teilen der Erde, um Auflagen aus dem Weg zu gehen. Kommt es zu Unfällen, müssen die Verursacher nicht für die Kosten aufkommen, da der rechtliche Rahmen dafür fehlt. So auch 1984 als ein Unglück im Chemiewerk der Union Carbide im indischen Bhopal 8.000 Menschen das Leben kostete. 150.000 Menschen leiden noch heute unter den Folgen, ohne dass der Konzern auch nur annähernd für den Schaden aufgekommen wäre. Eine Konvention über Unternehmensverantwortung – Corporate Accountability – ist dringender denn je. Bereits seit Jahrzehnten wird über eine solche Vereinbarung gestritten. Ebenso lange gibt es bereits internationale und nationale freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die vor allem durch ihre Unverbindlichkeit auffallen und als weiße Weste dienen: als Argument gegen schärfere Vereinbarungen.

Einer der wenigen Lichtblicke des Gipfels von Johannesburg (s. ROBIN WOOD-Magazin 4/02) findet sich in § 45 der Abschlusserklärung. Dort heißt es, die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sollen für Unternehmensverantwortung aktiv werden („...actively promote corporate accountability and responsibility“). Nachdem die Diskussion über dieses wichtige Thema über Jahre stagnierte, da neoliberale Politik und Deregulierung die internationale Politik beherrschten, sind diese vagen Worte bereits ein Fortschritt. Für die Vertreter der USA und andere wirtschaftsfreundliche Kräfte war jedenfalls schon diese Formulierung eine Niederlage.

Dazu beigetragen haben Umweltverbände, allen voran Greenpeace und Friends of the Earth, die über Monate eine Vereinbarung über Unternehmensverantwortung für den Gipfel gefordert hatten. Aber auch die Pleiten der Konzerne Worldcom und Enron, die ihre Buchhaltung manipuliert hatten, dürften zu der Einsicht einiger Verhandlungsparteien beigetragen haben, dass multinationale Unternehmen mehr Kontrolle brauchen. Es ist allerdings völlig offen, wann eine internationale Konvention auf die Tagungsordnung gelangt.

Schon bei der Rio-Konferenz vor 10 Jahren war es nicht gelungen, einen verbindlichen Ansatz zur Regulierung von Wirtschaftsunternehmen festzulegen. Das bemängelte auch Klaus Töpfer, der Generaldirektor des Umweltprogramms der UN. Vor Johannesburg erklärte er in der „Zeit“: „Es rächt sich jetzt, dass wir uns in Rio mit Kontrolle und Einklagbarkeit der Abkommen kaum beschäftigt haben.“ Weiter forderte Töpfer „eine Rahmenkonvention für Umwelthaftung. Haftung ist das entscheidende ökonomische Instrument, Verpflichtung einzufordern“.

Auch zahlreiche Umweltverbände forderten auf dem UN-Gipfel in Johannesburg verbindliche internationale Vereinbarungen, die sicherstellen, dass die Unternehmen für die von ihnen angerichteten Schäden weltweit haften. Die Umweltverbände warnten vor zu großer Euphorie über partnerschaftliche Projekte, die keinen Ersatz für die notwendige Regulierung darstellen. Greenpeace forderte die Staatengemeinschaft anlässlich des Gipfels auf, die so genannten Bophal-Prinzipien umzusetzen, die Haftung, Vermeidung von doppelten Standards in armen und reichen Ländern sowie die Einhaltung des Vorsorge- und des Verursacherprinzips umfassen.

Die Gegensätze, die in den Verhandlungen von Johannesburg sichtbar wurden, sind nicht neu: freiwillige Vereinbarungen über Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte und Umweltschutz auf der einen Seite, Forderungen nach einer internationalen, rechtsverbindlichen Konvention, die Sanktionen und Haftung einschließt, auf der anderen Seite. In den 90er Jahren wurde die Diskussion durch neue Ansätze von Kooperation der Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und den UN bereichert.

70er Jahre: UN-Verhaltenskodex und OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

Schon in den 70er Jahren traten Stimmen innerhalb der UN dafür ein, die Macht der transnationalen Konzerne („Transnational Corporations“, abgekürzt TNC) international zu kontrollieren. 1974 verabschiedeten die Vereinten Nationen drei Resolutionen, welche die Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung und weitreichende Kritik an den westlichen Ländern und ihrer Wirtschaftsbeziehungen zu den Entwicklungsländern enthielten. Im gleichen Jahr wurde das „United Nations Centre for Transnational Corporations“ (UNCTC) geschaffen. Ein Grund für die verstärkte Aufmerksamkeit war auch die Rolle von multinationalen Konzernen beim Sturz der Regierung Allende in Chile. Im Jahr 1977 begannen die Verhandlungen über einen „Verhaltenskodex für transnationale Konzerne“, der vom UNCTC formuliert worden war.

Gleichzeitig traf die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der die reichsten Länder der Welt angehören, eine wichtige Vereinbarung. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen von 1976 stellen einen Rahmen mit Empfehlungscharakter für Konzerne mit Sitz in den OECD-Staaten dar und wurden im jahr 2000 weiterentwickelt und konkretisiert. Sie enthalten nun Kapitel über Umweltmanagement, die Kernarbeitsnormen, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz. Außerdem ist in der neuen Fassung ein Beschwerdeverfahren über nationale Kontaktstellen vorgesehen.

80er Jahre: Deregulierung setzt sich durch

Im Laufe der 80er Jahre kam es zu einem Stimmungswechsel bei vielen Unterorganisationen der Vereinten Nationen. Statt die Aktivitäten der Unternehmen zu regulieren, mehrten sich die Forderungen nach Deregulierung, um private Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern zu erleichtern. Nur in wenigen Fällen führten Verhandlungen über die Regulierung von Handel und Investitionen zu Ergebnissen.

Anfang der 90er endete die Diskussion ergebnislos, auch der „Code of Conduct on TNC“ verschwand in der Schublade. Das UNCTC wurde 1992 auf Druck der USA aufgelöst. Empfehlungen für die Konferenz von Rio wurden nicht berücksichtigt. So enthält die Agenda 21 kein eigenes Kapitel über multinationale Unternehmen und nur vage Aussagen über Industrie und Wirtschaft.

90er Jahre: Zeit der Selbstverpflichtungen...

Während Ansätze zur Regulierung auf der Strecke bleiben, konzentrierten sich die Industrieländer in den 90er Jahren auf die weitere Liberalisierung der internationalen Handels- und Investitionsbedingungen mit dem Ziel, uneingeschränkten Spielraum für die Unternehmen zu schaffen. Ausdruck dieser Bestrebungen war der Versuch der OECD, ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) zu verabschieden. Dieser Versuch scheiterte Ende 1998 unter anderem aufgrund des Protests von Nichtregierungsorganisationen. Nun wird angestrebt die Rechte transnationaler Investoren in einem internationalen Regelwerk im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) festzuschreiben.

Gleichzeitig betrachten die meisten reichen Staaten unverbindliche Selbstverpflichtungen und Empfehlungen wie die OECD-Leitsätze als ausreichend für die weltweite Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Die Industrie überschlägt sich förmlich bei der Formulierung von immer neuen freiwilligen Versprechungen und Verhaltenskodizes.

Die Mehrzahl dieser Papiere wurden von der Industrie für die Industrie geschrieben und sind auf die jeweilige Branche oder das Unternehmen zugeschnitten. Die wichtigsten Selbstverpflichtungserklärungen sind das „Responsible Care Program“ der Chemischen Industrie von 1984, die „Global Environmental Charter“ des japanischen Wirtschaftsverbandes Keidanren und die „Business Charter for Sustainable Development“ der Internationalen Handelskammer (ICC), beide aus dem Jahr 1991. Allen Erklärungen ist gemeinsam, dass sie in ihren Aussagen sehr allgemein sind, auf Freiwilligkeit beruhen und keine Sanktions- und Kontrollmechanismen vorsehen.

... und der Partnerschaften

In den letzten Jahren hat sich ein weiteres Modell der freiwilligen Selbstverpflichtung etabliert, kooperative Verfahren unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure („Multistakeholder“-Ansatz). Die schleppenden Verhandlungen über verbindliche Vereinbarungen zur Kontrolle von Konzernen bewegen viele Nichtregierungsorganisationen zu neuen Strategien. Neben der traditionellen Lobbyarbeit werden direkte Kampagnen gegenüber ausgewählten Konzernen begonnen und Kooperationsvereinbarungen mit der Industrie verhandelt, z.B. der FCKW-freie „Greenpeace-Kühlschrank“. Die Industrie erhofft sich von der Zusammenarbeit mit international bekannten Umweltorganisationen ihren schlechten Ruf aufzubessern.

Ein bekanntes Beispiel für eine internationale Organisation, die den „Multistakeholder“-Ansatz verfolgt, ist der Forest Stewardship Council (FSC) mit Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftskammer. Die vom FSC zertifizierten Forstbetriebe verpflichten sich zur Einhaltung von gemeinsam formulierten Prinzipien und Kriterien zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung.

Ähnlich arbeitet auch die europäische Kampagne für saubere Kleidung, die „Clean Clothes Campaign“ (CCC). Das Netzwerk von Verbänden, Kirchen und Gewerkschaften setzt sich über Öffentlichkeitsarbeit für verbesserte Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Entwicklungsländern ein und hat einen Verhaltenskodex für Handel, Hersteller und Zulieferer formuliert, der Monitoring und externe Kontrolle einschließt.

Kritische Organisationen, die sich an „Multistakeholder“-Prozessen beteiligen, befinden sich häufig in einem Spannungsfeld zwischen Konfrontation und Kooperation. Offensive Kampagnen oder gar Boykott-Aktionen lassen sich nur schwer mit Dialog und Zusammenarbeit vereinbaren und können in manchen Fällen die Glaubwürdigkeit gefährden. Daher ist die Mitarbeit an solchen Ansätzen oft mit Konflikten und Rückschlägen verbunden.

Widerstand der Industrie

Während Selbstverpflichtungen und Partnerschaften erblühen, verfolgen Unternehmen und Verbände wie die „Business Action for Sustainable Development“, ein Zusammenschluss des „World Business Council on Sustainable Development“, der Internationalen Handelskammer und Shell erfolgreich das Ziel, verbindliche Vereinbarungen zu um­gehen. So etwa auf der Sondergeneralversammlung der UN fünf Jahre nach Rio, die die Lobby nutzte, um deutlich zu machen, dass die Wirtschaft sich über ihre Selbstverpflich­tungen ausreichend selbst kontrolliere.

Daran konnte auch die Kampagne von 70 Organisationen, die sich zu der „Taskforce on Business and Industry“ (ToBI) zusammenschlossen, nichts ändern. In der ToBI-Agenda erklärten sie, dass Selbstverpflichtung nicht ausreichend und eine Vereinbarung über „Corporate Accountability“ unerlässlich sei. Außer der Teilnahme der ToBI in der Commission on Sustainable Development wurde durch die Agenda nicht viel erreicht.

Bis in die jüngste Vergangenheit haben die freiwilligen Vereinbarungen Aufwind. Im Januar 1999 warb UN-Generalsekretär Kofi Annan für seinen „Global Compact“. Diese Vereinbarung konzentriert sich auf neun elementare Prinzipien, die Menschenrechte, Arbeitsstandards und den Schutz der Umwelt umfassen. Schon nach kurzer Zeit haben sich zahlreiche Großunternehmen dieser freiwilligen Vereinbarung angeschlossen. Der Global Compact wird von der Mehrzahl der Nichtregierungsorganisationen aufgrund seines freiwilligen Charakters als unzureichend kritisiert. Sie befürchten, dass die UN durch die Partnerschaften ihre Rolle im Hinblick auf Handel und Investitionen schwächen und „die wachsende Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen der fundamental undemokratischen globalen Konzerne ohne Haftbarkeit gegenüber Regierungen oder Bürgern“ begünstigen, wie es in einem Gegenentwurf, dem „ Citizen´s Compact“ heißt. Weiter wird kritisiert, dass Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit UN-Organisationen zum „bluewash“ nutzen würden.

Besonders schwer wiegt die Befürchtung, dass Selbstverpflichtungen und Partnerschaften in erster Linie etabliert werden, um die internationalen Ansätze zur Regulierung zu ersetzen oder zu stoppen. Die Organisation Corporate Watch kommentiert, dass „die gleichen verrufenen Konzerne, welche die Konferenz von Rio zum greenwash nutzten, seither jeden Fortschritt im Umweltschutz bremsen“.

Bevor eine weltweit gültige Konvention über Verantwortung und Haftung von multinationalen Unternehmen gegen unternehmerische Interessen der Global Player durchgesetzt werden kann, muss die Menschheit offenbar noch viele Umweltkatastrophen erleiden. An der Notwendigkeit für eine solche Konvention besteht kein Zweifel, wie auch die UN erklären: „Man kann nicht erwarten, dass sich die internationale Wirtschaft seine eigene Regulierung vorschreibt, das ist die Aufgabe von Regierungen,“ (United Nations Research Institute for Social Development).

Jens Wieting

Mehr Informationen zum Thema unter www.corporate-accountability.org und www.rio-plus-10.org