Kein gutes Klima in
Kanada
Minderheitsregierung wegen Absage an das Kyoto-Protokoll am Pranger Neues Deutschland, 27.11.06 Von Jens Wieting Am heutigen Montag sollte der kanadische Premier Stephen Harper eigentlich zum EU-Kanada-Gipfel in Helsinki eintreffen. Doch Anfang November sagte der Regierungschef der konservativen Bundesregierung das Treffen ab. Laut kanadischen Medienberichten hatte Harper angedeutet, dass die Minderheitsregierung während seiner Abwesenheit zu Fall gebracht werden könnte. Die Opposition wirft dem Premier dagegen vor, er wolle sich nicht der Kritik der Europäer an seiner Klimapolitik aussetzen. Neben den USA und Australien, die das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert haben, steht vor allem Kanada in der Kritik, zu wenig für den Klimaschutz zu tun. Beim UN-Klimagipfel in Nairobi erhielt Kanada gleich zwei Mal die Anerkennung »Fossil des Tages« für fehlendes Engagement durch das internationale Klimaaktionsnetzwerk (CAN). In einer von der Umweltorganisation Germanwatch vorgelegten Rangliste der Klimaschutzpolitik von 56 Staaten belegt Kanada einen der letzten Plätze – zusammen mit den USA und China. Mit der Konferenz in Nairobi endete der Vorsitz Kanadas bei den UN-Verhandlungen zum Klimaschutz und ging an Kenia über. Kanadische Umweltorganisationen erteilten aus diesem Anlass ihrer Regierung ein vernichtendes Zeugnis. »Umweltministerin Rona Ambrose wird als die schlechteste Verhandlungsführerin in die Geschichte der Klimakonvention eingehen«, so ein Bündnis von Klimaschützern in Nairobi. Die im Januar gewählte Bundesregierung hat dem Kyoto-Prozess bereits bei der Klimakonferenz in Bonn im Mai eine Absage erteilt. Dort hatte Umweltministerin Rona Ambrose erklärt, das Land könne unmöglich die von der Vorgängerregierung eingegangene Verpflichtung einhalten und lehne auch zukünftige Festlegungen ab. Ein Bericht der kanadischen Umweltkommisarin Johanne Gélinas konstatiert, dass die Kohlendioxid-Emissionen Kanadas seit 1990 um 27 Prozent gestiegen sind. Die Kyoto-Verpflichtung erfordert dagegen eine Reduzierung um sechs Prozent bis 2012. Hauptgrund für den Anstieg ist die energieintensive Ausbeutung der Ölsand-Vorkommen im Bundesstaat Alberta. Bis 2020 werden die Emissionen voraussichtlich um weitere 18 Prozent steigen. Allein die Emissionen aus dem Abbau der Ölsande könnten sich bis 2015 gegenüber 2004 verdoppeln. Gleichzeitig warnt die Umweltkommisarin vor den Folgen des Klimawandels: »Die Kanadier werden mit Risiken wie der Ausbreitung von Krankheiten, mehr Dürren in der Prärie, schmelzenden Permafrostböden im Norden, Hitzewellen und steigendem Meeresspiegel zu kämpfen haben.« Die Anzeichen mehren sich, dass der Klimawandel auch in Kanada bereits in vollem Gange ist. Nach Angaben des kanadischen Wetterdienstes war der letzte Winter der wärmste seit Beginn der landesweiten Messungen. Die Temperaturen lagen knapp vier Grad über dem Durchschnitt. Einige Flüsse an der Westküste erwärmten sich in den letzten Jahren so stark, dass Tausende von Lachsen auf dem Weg zu ihren Laichgründen starben. Im Pazifischen Ozean sind Riesenflugkalmare, Seehechte und Mondfische entlang der kanadischen Küste auf dem Vormarsch in nördliche Breiten. Verschiedene Meeresvögel haben Schwierigkeiten bei der Aufzucht ihres Nachwuchses, weil Veränderungen der Nahrungskette im Ozean auftreten – wahrscheinlich aufgrund von Änderungen der Meeresströmungen durch die Erwärmung. Westlich der Rocky Mountains haben die milden Winter zu einer katastrophalen Ausbreitung des Kiefernborkenkäfers geführt. Fast neun Millionen Hektar Wald, ein Gebiet größer als Bayern, sind bereits abgestorben. Im Oktober hatte Premier Harper als Alternative zu Kyoto ein Gesetzesvorhaben für saubere Luft vorgestellt. Es umfasst nicht nur Treibhausgase, sondern auch Schadstoffe wie Stickoxide und Schwefeldioxid, welche vor allem die Luft in den kanadischen Großstädten belasten. Zum Unmut von Umweltschützern enthält der Gesetzesvorschlag aber keine absoluten Richtwerte, sondern lediglich Effizienzziele. So müsste etwa die Ölindustrie die Emissionen pro gefördertem Barrel Öl reduzieren, nicht aber die Gesamtbelastung. Erst 2010 sollen konkrete Reduktionsziele festgelegt werden. Bea-trice Olivastri von der Umweltorganisation »Friends of the Earth« bewertet das Vorhaben daher als »Gesetz für schmutzige Luft«. Die Oppositionsparteien halten eine Einhaltung der Kyoto-Ziele weiterhin für möglich und fordern Nachbesserung. Wenn die Minderheitsregierung darauf nicht eingeht, könnte die Opposition sie zu Fall bringen und Neuwahlen herbeiführen. |