Neue Zürcher Zeitung, 31.7.2004

Totalschaden für den Regenwald

Papierfabriken beschleunigen die ökologische Verarmung Sumatras

Seit über 20 Jahren warnen Naturschützer vor dem drohenden Verlust der einzigartigen tropischen Wälder. Doch das öffentliche Interesse für die wertvollen Ökosysteme am Äquator hat nachgelassen. Nicht nur der Handel mit Tropenhölzern wie Bongossi, Mahagoni und Meranti ist in den meisten Fällen mit Raubbau am Regenwald verbunden. Auf der indonesischen Insel Sumatra wird der tropische Regenwald für die Herstellung von Zellstoff und Papier in riesigem Ausmaß kahl geschlagen.

Von Jens Wieting, «Robin Wood», Hamburg*

Von allen Staaten, die tropische Waldgebiete aufweisen, hat Indonesien die höchste Entwaldungsrate. Während grosse Urwaldgebiete in Südamerika und Afrika voraussichtlich noch mehrere Jahrzehnte überstehen werden, droht der Regenwald des asiatischen Inselstaats bis 2015 nahezu vollständig zu verschwinden. Hauptursachen sind fehlende staatliche Kontrolle, Korruption und die Überkapazität der Industrie. Den grössten Holzhunger hat die Zellstoff- und Papierindustrie Indonesiens, die inzwischen eine bedeutende Rolle auf dem Weltmarkt spielt.

Bedeutung der tropischen Wälder

Laut der vorsichtigen Schätzung der FAO gehen weltweit rund 16 Millionen Hektaren Wald im Jahr verloren. Dieser Verlust betrifft fast ausschliesslich die tropischen Breiten. Dabei sind die Fragmentierung und die Degradierung der Wälder sowie die Umwandlung von Naturwäldern in Monokulturen noch nicht berücksichtigt. Relativ unberührt sind heute nur noch etwa 40 Prozent der bestehenden tropischen Wälder.

Millionen Menschen in den Tropen leben vom Wald, der Wasser, Holz und Nahrung liefert, das Klima stabilisiert und vor Überschwemmungen schützt. Genutzt wird überdies eine Fülle von Nichtholzprodukten wie Heilpflanzen, Werkstoffe und Früchte. Wälder der Tropen beherbergen etwa zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten der Welt. Zwischen 10 und 50 Prozent der in diesen Lebensräumen beheimateten Arten sind bereits ausgestorben.

Tropische Wälder und ihre Böden sind unverzichtbare Speicher von Kohlenstoff. Weltweit geht etwa ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen auf die menschliche Landnutzung und Entwaldung zurück. Klimaforscher befürchten, dass die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten zur Austrocknung tropischer Waldökosysteme führt und ihre Funktion als Kohlenstoffreservoir verloren geht.

Regenwaldzerstörung in Indonesien

Im Tiefland Sumatras herrscht ein eigentlicher ökologischer Notstand. Bis auf Restbestände ist der Regenwald zerstört, an seiner Stelle breiten sich Plantagen und Brachen aus. An Industriestandorten kommt es zu einer erheblichen Schadstoffbelastung. Die Ausbeutung der Ressourcen hat der Mehrheit der Einheimischen keinen Vorteil gebracht. Im Gegenteil: Die Umweltzerstörung zieht vor allem die arme Bevölkerung in Mitleidenschaft, die sehr direkt auf saubere Flüsse und intakte Wälder angewiesen ist. Diese Menschen beklagen den Verlust ihrer traditionellen Lebensgrundlagen durch Landraub und Umweltverschmutzung, ein Verlust, der sie zwingt, sich am illegalen Holzeinschlag zu beteiligen.

Nach jüngsten Regierungsangaben verliert Indonesien inzwischen 3,8 Millionen Hektaren Wald jährlich. Zum Vergleich: In Brasilien, das noch über eine weit grössere Waldfläche verfügt, schwindet der Regenwald Jahr für Jahr um 2,5 Millionen Hektaren. Die Zerstörung schreitet selbst in Schutzgebieten Indonesiens voran. Der Anteil des illegal eingeschlagenen Holzes landesweit wird auf 73-88 Prozent geschätzt, der entstandene Schaden wird vom Forstministerium mit 3,7 Milliarden Dollar jährlich angegeben. Der Rohstoffverbrauch der Holz- und Papierindustrie sowie die Nachfrage nach Anbauflächen für neue Palmölplantagen beschleunigen die Entwaldung. Der jährliche Verbrauch der Industrie von Holz aus Naturwäldern ist mehr als zehnmal grösser als der vom Forstministerium genehmigte Holzeinschlag von 5,7 Millionen Kubikmetern.

Eine der Hauptursachen für den unkontrollierten Holzeinschlag ist das Versagen der indonesischen Regierung bei der Kontrolle über die Nutzung natürlicher Ressourcen. Zentralregierung und Provinzen sowie verschiedene Ministerien streiten sich um die Zuständigkeit für die Waldnutzung. Eine Aufsicht durch Behörden findet entweder nicht statt oder wird durch Korruption umgangen. Papiere zur Legalisierung von Holzlieferungen werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt. In viele illegale Holzgeschäfte ist das Militär involviert, das sich so einen Teil seines Budgets erwirtschaftet.

Während Holzhändler und Lieferanten der Sägewerke nur kommerziell verwertbares Holz einschlagen, betreiben Forstbetriebe und Zulieferer der Zellstoffindustrie Kahlschlag in ihren Konzessionsgebieten. Auch minderwertiges Holz wird verwertet, um Zellstoff der Kategorie «Mixed Tropical Hardwood» herzustellen. Zwischen 1988 und 2000 wurden in Indonesien etwa 120 Millionen Kubikmeter Holz zu Zellstoff verarbeitet, 90 Prozent davon aus dem Regenwald.

Das Desaster in der Provinz Riau

Die Zellstoff- und Papierfabriken der Konzerne Asia Pulp & Paper (APP) und Asia Pacific Resources International Holdings (APRIL) in der Provinz Riau im Osten Sumatras sind wahrscheinlich die grössten industriellen Verbraucher von Holz aus tropischen Naturwäldern weltweit. Für ihre Produktion verbraucht jede der beiden Fabriken rund neun Millionen Kubikmeter Holz im Jahr. Zwei Drittel davon kamen bisher aus dem Regenwald, ein Drittel aus Plantagen, die auf den ehemaligen Waldflächen angelegt werden. Jeder der beiden Konzerne hat bisher schätzungsweise 300 000 Hektaren Regenwald gerodet - eine Fläche von der Größe des Saarlands. Der Bau der gigantischen Fabriken erfolgte in den neunziger Jahren noch zu Zeiten des Diktators Suharto. Kredite und staatliche Bürgschaften von Banken und Regierungen der westlichen Länder ermöglichten Investitionen in Milliardenhöhe, ohne dass die ökologischen und sozialen Auswirkungen geprüft würden. Trotz dem billigen Rohstoff aus dem Regenwald sind beide Konzerne hoch verschuldet (APP erreichte jüngst einen Schuldenstand von über 13 Milliarden Dollar). Die Umschuldungsverhandlungen dauern noch an.

Auch die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank gehören zu den den Gläubigern des Konzerns APP. Die Bundesregierung ihrerseits gewährte deutschen Maschinenlieferanten Bürgschaften («Hermesbürgschaften»), um ihre Geschäfte für den Fall der Zahlungsunfähigkeit von APP abzusichern.

Die Konzessionsgebiete für den Holzeinschlag wurden über die Köpfe der lokalen Bevölkerung hinweg an die Konzerne vergeben, deren Kaderleute enge Beziehungen zu Regierungsmitgliedern unterhalten. APRIL setzte den Ausbau seiner Fabrikanlagen gegen den Protest der Bevölkerung durch, die ihre Landrechte verteidigte, wobei es 1997 Verhaftungen und Verletzte gab. APP ließ Proteste der Einheimischen gegen die Aneignung ihres Landes mehrfach unter Einsatz privater Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt unterdrücken. Beide Fabriken setzen Chlorverbindungen zur Bleiche ein. Die Bevölkerung an den Flüssen klagt denn auch über Hautkrankheiten und einen drastischen Rückgang der Fischbestände.

In den kommenden Jahren will jeder der beiden Konzerne weitere rund 200 000 Hektaren Regenwald roden. Später soll die Produktion lauft Angaben der Verantwortlichen der Industrie ausschließlich mit Holz aus Plantagen betrieben werden. Doch dieses Ziel wurde schon früher angekündigt und nicht eingehalten. Weltbank- Experten befürchten, dass bereits 2005 der Tieflandregenwald auf Sumatra weitgehend zerstört sein wird. Sollten dann nicht genügend Plantagen vorhanden sein, müsste die Industrie ihr Holz aus anderen Landesteilen beziehen, etwa aus Borneo, wo der Wald noch ein paar Jahre länger überdauern dürfte. Allerdings wird auch dort bereits eine Fabrik geplant.

Die Akazienplantagen der Konzerne werden etwa alle sieben Jahre durch Kahlschlag geerntet und unter Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden neu angelegt. Die ökologischen und sozialen Funktionen natürlicher Wälder erfüllen Monokulturen nicht. Die Artenvielfalt mit ihrem Nutzungspotenzial für die Bevölkerung geht verloren, Wasserhaushalt und Klima werden gestört.

Kahlschlag im Torfwald

Gegenwärtig beziehen die Fabriken von APP und APRIL einen Grossteil ihres Holzbedarfs aus Torfwaldgebieten im Osten Sumatras. Um den Regenwald auf den Torfstandorten in Plantagen umzuwandeln, wird von den Unternehmen ein Netz von Kanälen gebaut. So lässt sich der Wasserstand kontrollieren und das Holz abtransportieren. Neue Untersuchungen haben ergeben, dass Eingriffe in dieses Ökosystem die Waldbrandgefahr drastisch erhöhen und den Treibhauseffekt verschärfen. Die Torfflöze können bis in eine Tiefe von 18 Metern reichen. Sie sind über Jahrtausende gewachsen und speichern riesige Mengen Kohlenstoff. Während der verheerenden Brände, die 1997/98 in Indonesien 10 Millionen Hektaren Wald vernichteten, wurden hochgerechnet 0,8-2,5 Gigatonnen Kohlendioxid freigesetzt, die vorab aus der Verbrennung von Torf stammten. Das ist etwa so viel, wie in normalen Jahren menschliche Landnutzung und Entwaldung weltweit produzieren (1,6 Gigatonnen).

Die Torfwälder sind auch Lebensraum für vom Aussterben bedrohte Arten des Regenwaldes. Die indonesische Universität Bogor hatte in einem Konzessionsgebiet von APRIL das Vorkommen von 78 Vogelarten, 5 Affenarten sowie des Sumatra-Tigers festgestellt, bevor der Konzern hier 50 000 Hektaren Wald rodete und ein Kanalsystem von 800 Kilometern Länge anlegte. Die Restwaldbestände in diesem Gebiet reichen nicht aus, um das Überleben dieser Arten zu sichern.

Indonesische Gesetze verbieten die Nutzung von Wäldern, die auf einer Torfschicht von über drei Metern Tiefe liegen. Laut einer anderen Vorschrift sollen produktive Wälder mit einem gewissen Vorrat an nutzbarem Holz nicht in Plantagen umgewandelt werden. Für APP und APRIL stellen solche Gesetze kein Hindernis dar bei der Umwandlung von Regenwald in Monokulturen, verzichtet doch die indonesische Regierung in den Konzessionsgebieten auf entsprechende Kontrollen.

Aber auch außerhalb der Konzessionsgebiete geht die Zerstörung weiter. Der WWF Indonesien versucht seit geraumer Zeit zumindest das Waldgebiet Tesso Nilo in der Nachbarschaft von APP und APRIL zu bewahren. Die Umweltstiftung hat vorgeschlagen, dieses Gebiet zum Nationalpark zu bestimmen, beherbergt es doch die höchste weltweit ausgewiesene Pflanzenvielfalt. Beide Zellulosekonzerne haben erklärt, auf Holzlieferungen aus Tesso Nilo verzichten zu wollen. Im Juni stellte der WWF allerdings Material vor, das belegt, dass APP weiterhin illegal eingeschlagenes Holz aus Tesso Nilo bezieht.

Raubbaupapier im europäischen Handel

Papier, für dessen Herstellung Regenwald zerstört wird, findet trotzt wachsenden Protesten von Umweltorganisationen auch bei uns Verwendung. Karstadt und die Deutsche Post haben nach Protesten von «Robin Wood» inzwischen Papier von APP und APRIL aus dem Sortiment genommen. Die Metro-Gruppe, eines der grössten Handelsunternehmen der Welt, verkauft Papier von APP über ihre Vertriebslinien Real und Galeria Kaufhof in Deutschland. «Robin Wood» hat durch eine Faseranalyse nachgewiesen, dass dieses Papier aus Tropenhölzern der Regenwälder hergestellt wird.

Die Firma Papier Union, nach eigenen Angaben der führende Papiergroßhändler Deutschlands, bezieht jährlich 15 000 Tonnen Papier der Marke Paper One von APRIL, für dessen Produktion Zellstoff aus Akazienplantagen verwendet wird, und ist wohl der bedeutendste Kunde des Konzerns in Europa. Es wird Zeit, dass sich herumspricht, dass weißes Papier dunkle Flecken hat. Wer Urwälder schonen will, greift sicherheitshalber zu Recyclingpapier und geht sparsam damit um. Papier hat einen hohen Preis.

* «Robin Wood» wurde 1982 in Deutschland als gewaltfreie Aktionsgemeinschaft für die Erhaltung der Umwelt gegründet.